In dem mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt des norwegischen Autors und Regisseurs Joachim Trier stellen zwei junge befreundete Schriftsteller große Erwartungen an ihre Zukunft und machen sich auf die Suche nach verlorener Zeit.
Einmal trägt die Frau einen blau-weiß geringelten Pulli. Sie heißt Kari (Victoria Winge), das klingt wie eine Kurzform von Catherine. Mit einem Lächeln beginnt ihre Beziehung zu einem jungen Schriftsteller, der wiederum mit einem weiteren Schriftsteller befreundet ist. Später fährt das Paar nach Paris. Jules und Jim (Jules et Jim, 1962) heißen die beiden Literatenfreunde nicht, sondern Erik (Espen Klouman Høiner) und Phillip (Anders Danielsen Lie). Aber wie François Truffauts Klassiker ist auch Auf Anfang [:reprise] (Reprise) ein Film über Freundschaft und Liebe, das Jung- und Kreativsein, und darüber, wie die Zeit all dies verändert.
Anders als in Jules und Jim verlieben sich allerdings nicht beide Männer in die Frau, nur Phillip. Dafür so heftig, dass seine Gefühle eine Psychose bei ihm auslösen. Der Originaltitel „Reprise“ bedeutet „Wiederaufnahme“. Nach seinem mentalen Zusammenbruch und einem Klinikaufenthalt versucht Phillip, sein Leben zu rekonstruieren und einen Anschluss daran zu finden. Er stellt vergangene Passagen daraus nach und hält einige mit dem Fotoapparat fest. Bei dieser Puzzlearbeit gewährt der Autor und Regisseur Joachim Trier weder ihm, noch dem Zuschauer eine eindeutige Abgrenzung zwischen gestern oder heute, Fiktion und Realität. Was findet in der Imagination eines Schriftstellers oder eines Kranken statt? Was in der Erinnerung, welche die Ereignisse selektieren, verfremden oder retuschieren kann? Was ist Wunschdenken, und was passiert tatsächlich?
Triers ambitioniertes Debüt ist ein Patchwork aus diversen Filmen, die sich einem Verwirrspiel mit der Zeit und Wirklichkeit gewidmet haben, und den potenziellen Tricks und Trugbildern des Geistes und Gedächtnisses. Alain Resnais Letztes Jahr in Marienbad (L’année dernière à Marienbad, 1961) oder Reconstruction (2003) des dänischen Regisseurs Christoffer Boe sind nur zwei von unzähligen Vorgängern, verwandt in inhaltlichen Abschnitten und einer nichtlinearen, labyrinthartigen Erzählweise. Wie die Hauptfiguren in Marienbad und Reconstruction versucht auch Phillip, seine Liebe Kari mittels einer Beschwörung der gemeinsamen Vergangenheit erneut zu verführen. In Marienbad ist dabei nicht klar, ob überhaupt jemals eine Affäre existierte. In Reconstruction gibt es mehr als einen Hinweis darauf, dass diese ausschließlich in der Vorstellung eines Schriftstellers ablief.
Auf Anfang [:reprise] jongliert und experimentiert besonders in seiner ersten Hälfte ausgiebig mit ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten: Schwarzweiß- und Farbaufnahmen, Vor- und Rückblenden, Zeitlupen und Standbilder. Dazu kommentiert ein Voice-Over-Erzähler Geschehen und Gedanken, ähnlich wie in Jules und Jim, Marienbad und Reconstruction. In einer Sequenz hat Erik vor, mit seiner Freundin Schluss zu machen. Das unangenehme Vorhaben löst bei ihm eine Assoziation mit einer ebenso unangenehmen Kindheitsepisode aus, während der ihn die Mutter wegen seines Konsums von pornografischen Internetseiten zur Rede stellte. So wie das Gehirn vor allem in Stress- und Krisensituationen entfernte Ereignisse miteinander verknüpft, so verbindet auch der Film häufig sprunghaft seine Handlungsstränge und Zeitebenen, was ihn gleichermaßen verwirrend und spannend macht, weil er dem Zuschauer auf diese Weise unmittelbare Einblicke in das Innenleben der Charaktere ermöglicht.
Später wird die Narration entspannter und zurückhaltender, konzentriert sich verstärkt auf ihre Protagonisten Erik, Phillip und Kari und ihr sich wandelndes Verhältnis zueinander. Phillip ist nicht nur das Bindeglied zwischen den dreien, er bildet auch das emotionale Zentrum des Films, was nicht zuletzt an der feinfühligen und fesselnden Darstellung von Anders Danielsen Lie liegt. In seiner Gefühlstiefe setzt sich Auf Anfang [:reprise] dann deutlich von Marienbad und Reconstruction ab, die in erster Linie den Kopf ansprechen und Empathien teils beabsichtigt, teils unbeabsichtigt außen vor lassen. Die Freundschaft zwischen Erik und Phillip ist wie die zwischen Jules und Jim eine intensive, in Momenten eine liebevolle, die sich im Lauf der Zeit verändert. Beide Verbindungen sind auch von Eifersucht durchzogen, bei der ersteren bezieht sich diese Konkurrenz aber mehr auf die schriftstellerischen Ambitionen der Kameraden, weniger auf ihr Privatleben.
Auf Anfang [:reprise] ist vieles auf einmal: Generationsportrait und Psychodrama, Tragödie und Komödie, Liebes-, Freundschafts- und Künstlergeschichte. Hier und da kratzt er dabei zu sehr an der Oberfläche und hinkt seinem Anspruch hinterher. Andererseits macht der schnelle Wechsel zwischen ausgelassenen und intimen Situationen, überschwänglich und behutsam inszenierten Szenen, den Reiz von Triers ideenreichem Debütfilm aus. Obwohl dieser verspielte und furchtlose Genre-Mix nicht durchgängig überzeugt, beeindruckt und berührt er doch immer wieder in einer Reihe von Sequenzen. Einzig der Schluss passt nicht recht zum Vorangegangenen. Aber möglicherweise soll er das auch nicht. Vielleicht ist er gar nicht das eigentliche Ende des Films, sondern das eines Romans, den Erik im Verlauf der Handlung schreibt und veröffentlicht, und der von einem renommierten älteren Schriftsteller so beurteilt wird: „Ein gutes Buch – bis auf den letzten Absatz“.